Der
Kern dieser Site war der 10- Punkte- Text (Selbsthilfe I), den
ich zunächst für mich selber geschrieben habe, um
einmal festzuhalten, was für mich im Krisenfall am wichtigsten
ist. Das hatte also erst einmal eher Tagebuch- Charakter, war
eine Form von Selbsttherapie und nicht zur Veröffentlichung
gedacht. Dann habe ich bei der Beschäftigung mit dem Internet
gesehen, dass beim Thema "psychische Krankheit" die
Äusserungen der Angehörigen und der Industrie, der
Aerzte, Psychologen etc. überrepräsentiert waren und
mich Anfang 1999 entschlossen, den Text und weitere von mir
und anderen Autoren im Internet zu veröffentlichen. Die
Lage hat sich inzwischen gewandelt, es gibt eine ganze Menge
von Websites, die sich mit psychischer Krankheit aus Betroffenensicht
beschäftigen.
Es
geht mir einerseits darum, anderen meine Erfahrungen und Gedanken
mitzuteilen, sodass - idealerweise - jeder in der Auseinandersetzung
mit ihnen seine eigene Form des Umgangs mit seinen Schwierigkeiten
herausfinden könnte.
Öffentlichkeit
für mein Thema herzustellen, ist ein weiterer wichtiger
Beweggrund. Ich glaube, dass es gar nicht genug Infos "von
Betroffenen für Betroffene" geben kann.
.
Ein weiteres Motiv ist für mich immer mehr der sozusagen
politische Aspekt des Verrücktseins geworden. Warum in
aller Welt soll man zusätzlich zu den eigenen Problemen
auch noch von der Gesellschaft abgeschoben und ausgegrenzt werden
?
(siehe
auch meine Bemerkungen unter STÖRUNG
UND STIGMA sowie die Links zum Thema Stigmatisierung)
Mad
Pride
Wir
brauchen eine Mad Pride - Kampagne (cf. z.B. die lunatic pride
- Seiten von J. Fangmeyer). Die Frauen, die Körperbehinderten,
die Schwulen, die Afroamerikaner und andere haben es vorgemacht:
ändern wird sich nur etwas, wenn wir uns für unsere
Rechte und gegen Unterdrückung einsetzen. Unsere Interessen,
die Gestaltung unserer Lebenswelt, Themen wie Selbstbestimmung,
Arbeit, Wohnen, Schutz vor Diskriminierung, Medikamente, Alternative
Umgangsformen mit "der Krankheit" (Weglaufhäuser,
Soteria etc. ), müssen öffentlich gemacht und effektiv
umgesetzt werden. Das Gesundheitssystem, die Interessen der
Pharmaindustrie, Psychopharmakagabe als Langzeitexperiment,
Darstellung "psychisch Kranker" als per se "gefährlich"
in den Medien (Fernsehen, Bild- Zeitung etc.): alles Dinge,
die nach "Gegenöffentlichkeit" geradezu schreien.
Was
wir brauchen, ist Teilhabe an der Gesellschaft auf allerkonkretester
Ebene (Bildungsmöglichkeiten, Arbeitsplätze - nicht
nur in geschützten Werkstätten - soziale Absicherung,
selbstbestimmte Auffanginstitutionen jenseits der Psychiatrie).
"Psychisch Kranke" sind Menschen wie andere auch,
das Leben mit der Besonderheit des Verrückt- werden- könnens
ist normaler als allgemein angenommen: Alltagsprobleme mit Arbeit,
Geld, Beziehung, Kindern etc.- spielen eine grosse Rolle. Es
gibt noch viel zu tun !
Natürlich
ist es eine Herausforderung bzw. oft Überforderung, neben
der alltäglichen Lebensbewältigung politisch aktiv
zu werden, insbesondere, wenn das offene Auftreten als Irrer
nur Nachteile nach sich zieht. Es ist oft nicht empfehlenswert,
sich als verrückt zu outen , die Mitmenschen können
meist einfach nicht damit umgehen.
Man
braucht, glaube ich, eine grosse Portion Selbstbewusstsein,
um überhaupt eine graduelle Öffentlichkeit zu wagen.
Ich komme langsam dazu, damit vernünftig und abgestuft
zu verfahren: wie weit ich mich vorwage, bestimme ich je nach
meinem Gegenüber und meiner jeweiligen Verfassung immer
neu .
Wir
müssen daran arbeiten, neben der klassischen Behandlung
genügend geschützte Räume (z.B. Selbsthilfegruppen;
Therapiegruppen, psychoedukative Gruppen, Weglaufhäuser,
Soteria etc.) aufzubauen, in denen man lernen könnte, selbstbewusst
mit seinen Problemen zu agieren und sich und andere einzuschätzen,
was sonst nur in jahrelanger schmerzhafter Selbsterfahrung möglich
ist. Die Selbsthilfe als Zusammenarbeit von Betroffenen auf
lokaler und überregionaler Ebene scheint mir, neben sozialer
Absicherung und therapeutischen Angeboten, der wichtigste Ansatz
zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Betroffenen. Ich
sehe sie als grossen Schritt auf dem Weg zu einer wirklichen
Integration an den Rand gedrängter Menschen.
Auf
lange Sicht halte ich es für wichtig, das Selbstbild "
Patient ", das eine Art Opfer- Status impliziert, zu ändern
in ein Selbstbild als Mensch mit einer Besonderheit ( S.
Moser spricht z. B. von "awareness- enhanced")
und damit der sogenannten "Krankheit" einen anderen
Stellenwert zuzumessen.
In der Opferrolle ist jedenfalls nicht gut Kirschen essen.
Allgemein-
menschliche Eigenschaften wie Liebesfähigkeit, Humor, Sensibilität
für Schönes wie Schlimmes, Kreativität etc. sollten
im Selbstbild, wie auch von aussen gesehen, an erster Stelle
stehen.
Das ist natürlich in einer Gesellschaft wie der in der
BRD, in der Leisten und Verbrauchen die ersten Bürgerpflichten
sind, ein einigermassen schwieriges Unterfangen.
Trotzdem:
dem Leistungs- und Konsumdenken können wir unseren Reichtum
an selbstbestimmter Zeit, befriedigenden Beziehungen und Individualität
entgegensetzen. Nicht- ökonomisierte Dinge wie solidarischer
Umgang mit anderen und Freude an nicht- kommerziellen Tätigkeiten
wie Spaziergängen, Gesprächen etc. bieten schliesslich
mehr als die verbreitete Glotzerei (TV) und hirnlose Herumfahrerei
und Shopperei , die uns als Lebensinhalte und Freizeitbeschäftigung
angedreht werden.
In
diesem Sinne: Vorwärts, und nicht vergessen:
Mad
Pride Hayride Rules OK