Shoshannah
Moser ( Shoshanna's Psychiatric
Survivors' Guide ) hat die Sprache der Mediziner und Therapeuten einer unnachsichtigen
Prüfung unterzogen und deren Begriffe durch zutreffendere eigene blossgestellt.
( Es wäre einen Versuch wert, dasselbe mit den deutschen Gegenstücken
der von Frau Moser verwandelten Wörter zu tun. ) Im folgenden ihre Richtigstellung
der Sprachregelung, in deren langer Geschichte aus Menschen Irre und aus Irren
Patienten gemacht wurden. Wenn es nach dem Willen der "healthcare industry" geht,
demnächst auch Verbraucher ( von Dienstleistungen und Produkten, vulgo Behandlung
und Drogen ) und, siehe da: Kunden (clients). Und der Kunde ist doch bekanntlich
König.
M.S.
Wir
sind Geiseln
Beim
Neuerfinden der Sprache haben wir nun Klassiker wie
"threatment*" und " biolence* " erworben - - gehen wir nun also daran, die Frage
der Ettikettierung als Patient, Verbraucher oder Kunde zu beerdigen. Wir sind
tatsächlich nichts dergleichen.
Wir sind Geiseln.
Solange sogenannte " medizinische Fachkräfte " das verbriefte Recht haben,
ihre eigenen Launen, Neurosen und paternalistischen Einstellungen auf Kosten unserer
Freiheit und unseres Lebens zu befriedigen, müssen wir unsere tatsächliche
Lage erkennen.
Ein " Patient
" kann jederzeit eine zweite Meinung einholen;
ein " Verbraucher
" kann sich, wenn er will, von einer Dienstleistung oder einem Produkt,
die er unbefriedigend findet, abwenden;
ein " Kunde
" kann immer " Nein " sagen - und es in die Tat umsetzen.
Wir
haben keine dieser Optionen, denn jeder freiwilligen Teilnahme liegt die Androhung
von Gewalt zugrunde. Möglich, dass sie nicht ausgesprochen wird; möglich,
dass sie nicht bewusst wahrgenommen wird ; aber sie ist immer vorhanden -- und
wenn wir sie ignorieren, tun wir das auf unsere eigene Gefahr.
Freiwillige Behandlung bleibt freiwillig nur so lange, wie das Wort "nein"
unausgesprochen bleibt. Wie leicht kann doch, bei dessen Äusserung, die Behandlung
zur unfreiwilligen (Zwangs-) Behandlung gemacht werden !
Ohne
Besorgnis und mit noch weniger Interesse werden unsere Rechte mit Füssen
getreten, unsere Gefühle abgetan, unsere Entscheidungen für ungültig
erklärt, unser Intellekt beleidigt - und wir werden den Händen derer
ausgeliefert, die uns unserer Würde, unseres Selbst und unserer Persönlichkeitsrechte
berauben.
Was ist die Argumentation dieser aufrechten Wächter geistiger Gesundheit
? Wenn eine Person gewaltsam entführt, aller Rechte beraubt und in eine psychiatrische
Station eingesperrt wird, ist es dann irrational* , wenn sie ihrer Empörung
deutlichen Ausdruck verleiht ?
Offenbar ja, denn in dem Zerrbild der
Welt, in dem sie sich nun befindet, wird einer solchen Reaktion immer mit Zwangsmassnahmen
und Drogen begegnet. Sollte die selbige Person in der selben Lage die Aussicht
auf Eingesperrtsein und Nichtung ihrer selbst mit anscheinend ruhiger Gefasstheit
annehmen, dann betrachtete man sie wohlwollend als zumindest teilweise rational*,
als vernünftig, und liesse sie grösstenteils in Ruhe.
Wenn jedoch
diese Gefasstheit echt wäre, wäre die Person tatsächlich geistig
verwirrt*.
Das können die Wächter nicht wahrnehmen; und ihre Blindheit ist
- wie bei König Lear - selbsterzeugt.
Wenn jedes Rudiment* von Individualität
als ein Symptom geistiger Gestörtseins ettikettiert werden kann;
wenn
jedes Wort, jede Tätigkeit zum Beweis der Notwendigkeit von Zwangsbehandlung
werden kann;
wenn das Angebot von " Hilfe " der Androhung von Verfolgung*
gleichkommt;
wenn unsere Freiheit den voreingenommenen, engstirnigen, und
allzuoft nur im Eigeninteresse liegenden Meinungen einer Einzelperson ausgeliefert
werden kann, ausgestattet mit der Macht hat, unsere Grundrechte in eine Farce
zu verwandeln;
dann können wir uns selbst mit den chemisch reinen Euphemismen
nichts vormachen:
Wir sind keine Patienten.
Wir sind
keine Verbraucher.
Wir sind
keine Kunden.
Wir sind Geiseln.
Copyright
© 1995 Shoshanna Moser equinox@harborside.com
Copyright © 2000 der Übersetzung M.S./irresein.de
Erstveröffentlicht im März 2000 * Fusznoten werden noch ergänzt.