Psychiater als Agenten der
Pharmaindustrie
Um die ärztliche, wissenschaftliche und menschliche
Integrität des Exponenten der deutschen psychiatrischen
Pharmakotherapie, Otto Benkert, ist es schlecht
bestellt: schon 1997 machte er von sich reden, als er
ohne Wissen der Hausärzte an depressiven Patienten neue
Medikamente testen liess. Es wurde ein
Disziplinarverfahren eingeleitet (cf. Der Spiegel 4/97).
Zudem blieben positive Wirkungen der getesteten Pillen
aus. Die billigen Versuchskaninchen hatten also rein gar
nichts von ihrer Bereitschaft, im Dienst der Industrie
ihre Gesundheit zu riskieren. Des weiteren wurden später
bestätigte Vorwürfe laut, die von der Pharmaindustrie
finanzierten Medikamententests seien zusätzlich den
Versicherungen der Patienten in Rechnung gestellt und
damit doppelt abgerechnet worden.
Wie
dann im Zuge eines Strafverfahrens im Dezember 2000
festgestellt wurde, hat Benkert auch Klinikpersonal
zur Mitarbeit an von der Pharmaindustrie bezahlten
Arzneimittelstudien herangezogen. Für diese
Studien soll er zwischen 1993 und 1997 fast 2,5 Mio.
DM (1,27 Mio. Euro) aus der Privatwirtschaft (d.h.:
der Pharmaindustrie) erhalten haben, davon
jedoch nicht die vereinbarten
30 Prozent (750 Tausend DM/ 383 T. Euro) an
die Uni Mainz abgeführt haben.
Er
wurde wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von elf
Monaten und einer Geldbuße von 400.000 DM verurteilt.
Die Haftstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Er muss
weiterhin der Uni Mainz Schadensersatz in Höhe von 1,6
Millionen DM zahlen. Er verliert einen Teil seiner
Pensionsansprüche (warum nur einen Teil ?). Um seiner
Entlassung zuvorzukommen, beantragte Benkert seine
Entlassung aus dem Staatsdienst.
Dies
alles wirft ein Licht auf die Verflechtung
renommierter Psychiatrieprofessoren mit der
Pharmabranche. Benkert ist zusammen mit Hippius Autor
des Standardwerkes über Psychoneuropharmakologie.
Kann ein so von Gewinnsucht korrumpierter Arzt im
Interesse seiner Patienten handeln ?
Kann man ihm korrektes wissenschaftliches Arbeiten
zutrauen ?
Es
scheint eher so zu sein, dass persönliche wie
industrielle Gewinnmaximierung im Vordergrund stehen.
Die Unabhängigkeit und Richtigkeit wissenschaftlicher
Aussagen solcher Pharma- Agenten ist,
gelinde gesagt, äusserst zweifelhaft.
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Etzel Gysling schreibt zum Thema
Interessenverquickung in
pharma-kritik,
Jg.22/No.02
in seinem Artikel Die Industrie und die
Ärzteschaft :
"Selbstverständlich
beteuern alle,die Forschungsgelder oder Honorare von
der Industrie beziehen, sie liessen sich nicht
beeinflussen. Es ist nichts Böses, das dies nicht
stimmt. Vielmehr liegt es in der menschlichen Natur
und ist ganz normal, wenn auch vielleicht vielen nicht
bewusst, der gebenden Hand gegenüber positiv
eingestellt zu sein. Auch geht es nicht darum, dass
Studienresultate im eigentlichen Sinne verfälscht
würden.
Wer
gelegentlich einen Artikel über eine klinische
Studie genauer ansieht, weiss, dass sich der
Eindruck, den man von den Resultaten gewinnt, sehr
wohl beeinflussen lässt. Belanglose Unterschiede
können so interpretiert werden, als ob sie klinisch
bedeutsam wären. Unerwünschte Wirkungen werden zwar
in der Regel erwähnt, jedoch nicht selten in der
Diskussion übergangen.
Ist
es nicht verwunderlich, dass zum Beispiel sämtliche
Studien, in denen ein neues Antirheumatikum gegen ein
älteres getestet wird, für die neue Substanz ein
ebenbürtiges oder gar besseres Resultat ergeben?
Da
heute so viele neue Medikamente erforscht werden
müssen, ergibt es sich ganz von selbst, dass ein sehr
grosser Teil der Professoren, Chefärzte und der
klinischen Forscherinnen und Forscher auch für die
Industrie tätig sind. Das Ausmass der
Industriebeteiligung lässt sich
zum Beispiel an den Schwierigkeiten erkennen, die das
"New England Journal of Medicine" hat, wenn es für ein
Editorial unabhängige Fachleute sucht. Die frühere
Chefredaktorin Marcia Angell schreibt dazu ganz klar:
"we routinely encounter ... difficulties in finding
editorialists in specialties that involve the heavy
use of expensive drugs and devices".
Klinische Forscherinnen und Forscher beziehen nicht
nur Gelder für Studien, sondern sind gemäss Angell
auch Berater bei interessierten Firmen, fungieren
als Sprecher für die Industrie, haben allenfalls
Patentrechte an gewissen Produkten, veröffentlichen
unter ihrem Namen Texte, die von einem Ghostwriter
der Industrie verfasst wurden, propagieren
Arzneimittel oder weitere Produkte an Kongressen,
lassen sich beschenken und Reisen bezahlen und
verfügen nicht selten auch über Aktien dieser
Firmen.
Ich
kann nicht beurteilen, in welchem Umfang diese
"amerikanischen Verhältnisse" auf die Schweiz oder
allgemein auf Europa übertragen werden können (das
können sie inzwischen. Anm. M.S. 2003). Dass die
"Opinion Leaders" auch bei uns nicht immer unabhängig
denken und handeln, dafür gibt es zahlreiche Hinweise.
Die
Konsequenzen sind unübersehbar. So wird in der Schweiz
an verschiedenen Fortbildungsveranstaltungen immer
wieder auf den Nutzen einer postmenopausalen
Östrogensubstitution im Sinne einer Prävention
kardiovaskulärer Erkrankungen aufmerksam gemacht.
International wird aber dieser Nutzen der Östrogene
sehr kontrovers beurteilt - eine
Reihe neuerer Untersuchungen konnte nicht bestätigen,
dass diese Hormone tatsächlich eine Herzschutzwirkung
besitzen. Klinische Forscherinnen und Forscher, die
blutdrucksenkende Mittel austesten, suggerieren in
ihren praxisorientierten Publikationen oft, neuere
(teurere) Antihypertensiva seien den älteren
Substanzen überlegen. Dabei gibt es mehrere
Untersuchungen, die zeigen, dass Diuretika und
Betablocker als Antihypertensiva bisher unübertroffen
sind. Weitere Beispiele liessen sich im Bereich der
Psychopharmaka und der
Antibiotika finden.
So
fällt es schwer, daran zu glauben, dass unsere
Expertinnen und Experten wirklich unabhängig sind.
Da sie aber naturgemäss über sehr grosse Erfahrung auf
ihrem Gebiet verfügen, erhalten ihre Aussagen ein
entsprechendes Gewicht. Ich denke, dass die Industrie
den "Opinion Leaders" sehr viel zu verdanken hat und
über sie mehr erreicht als mit Werbung.
Warum
hat sich die Situation verändert? Unsere Patientinnen
und Patienten erwarten von uns, dass wir ihnen ständig
besser helfen können. Tatsächlich ist die medizinische
Forschung so aktiv wie noch nie. Gleichzeitig wird
aber bei den öffentlichen Finanzen weltweit am
Sparhahn dreht. Was tut die Universität, was das
Forscherteam, wenn es immer schwieriger wird, an
öffentliche Gelder heranzukommen? Industriefonds sind
hier eine naheliegende Lösung. Die Pharmaindustrie
benötigt ja die Studien, da sie sonst keine
Zulassungen für neue Substanzen mehr erhält. Daran ist
grundsätzlich nichts Falsches zu sehen. Die
Verlagerung von unabhängig finanzierter zu
Industrie-finanzierter Forschung hat aber zwei Folgen,
die nicht notwendigerweise im Interesse kranker
Menschen sind:
Erstens
wird der Forschungsbereich auf diejenigen Gebiete
eingeschränkt, in denen sich die Industrie Profit
verspricht. Innovative Ideen haben keinen Platz,
wenn es darum geht, den xten
Protonenpumpenhemmer oder den yten
Angiotensin-Rezeptorantagonisten zu erproben. Sehr oft
führt aber gerade eine Forschung, die nicht
unmittelbar auf Erfolg oder Profit aus ist,
langfristig zu echten Fortschritten.
Zweitens
ist die Industrie-finanzierte Forschung praktisch
ausschliesslich kurativ ausgerichtet.
Für eine Forschung, deren Schwergewicht präventiver
Natur ist, hat die Industrie in der Regel kein
Interesse. Mit anderen Worten: Zwar wird die
Tatsache bedauert, dass so viele rauchen. Für die
Industrie liegt aber gerade darin die Chance, für
viele ein "Heilmittel" anzubieten.
Gelingt es tatsächlich, eine solche Substanz zu
entwickeln, so wird diese als grosser Fortschritt
gepriesen, auch wenn die Erfolgsraten recht bescheiden
sind."
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Siehe auch:
Kommerzialisierung
oder Solidarität– Zur grundlegenden Orientierung von
Gesundheitspolitik von Hans-Ulrich Deppe 2006
Leider nur in englischer Version vorhanden:
Beziehungen mit der Pharmaindustrie:
Vorsicht geboten ("Halten Sie sie sich vom
Leibe")
Relationships with the pharma industry: Keep at
arm’s length
Marcia Angell
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Published 3 February 2009, doi:10.1136bmj.b222
Cite this as: BMJ 2009;338:b222
Analysis
Relationships with the pharma industry: Keep at arm’s
length
Marcia Angell, senior lecturer in social medicine
1 Harvard Medical School, Boston, MA 02115
marcia_angell{at}hms.harvard.edu
The relationship between the pharma industry, academia,
healthcare professionals, and patients has reached an
all time low and few doubt that it is in the interests
of all parties to improve it. A recent report from the
Royal College of Physicians attempts to define a path
towards achieving a more productive relationship. Here
we set out five contrasting views on what the ideal
relationship between industry and prescribers and
patients should be and what steps need to be taken to
achieve it (doi:10.1136bmj.b211, doi:10.1136bmj.b232,
doi:10.1136bmj.b252, doi:10.1136bmj.b252)
I believe there should be no relationship between the
pharma industry and either prescribers or patients.
pharma companies are investor owned businesses with a
responsibility to maximise profits for their
shareholders. That is quite different from the mission
of the medical profession, which is to provide the best
care possible for patients. I start with this simple
fact, because it is so often obscured by the industry’s
public relations. pharma companies are not confused on
this score. Their major output now consists of "me-too"
drugs for mild or ill defined conditions in essentially
healthy people. This is because that market is big and
more easily expanded than the market for innovative
drugs for serious diseases.1
The purpose of pharma companies’ contact with
prescribers is nearly always to increase sales, and it
usually involves payments of one form or another. These
are often disguised as education—for example, sponsored
continuing medical education, professional meetings, and
conferences or dinner sessions to hear presentations
about drugs. Companies provide meals, gifts, and
subsidies of various sorts. But pharma companies are not
educational institutions. These activities are funded
from their marketing budgets. pharma companies may, of
course, provide accurate information to prescribers, but
only if it serves their commercial interests. A growing
body of evidence shows that they suppress or distort
information that does not serve their interests.2
Prescribers are faced with the impossible task of
sorting out good information from bias or
misinformation.
The fact that pharma companies pay prescribers to be
"educated" underscores the true nature of the
transaction. Students generally pay teachers, not the
reverse. The real intent is to influence prescribing
habits, through selection of the information provided
and through the warm feelings induced by bribery.
Prescribers join in the pretence that pharma companies
provide education because it is lucrative to do so. Even
free samples are meant to hook doctors and patients on
the newest, most expensive drugs, when older drugs—or no
drugs at all—might be better for the patient.
Education and information should be provided by health
professionals
It is time the medical profession took full
responsibility for educating prescribers about
prescription drugs, instead of abdicating it to pharma
companies.3 Doctors should pay for their own continuing
education, just as other professions do. Similarly,
professional organisations should pay for their own
meetings and publications, not go hat in hand to
industry. pharma companies are not charities; they
expect something for the tens of billions of dollars
they invest in marketing. The evidence is that they get
it, and that patients foot the bill in higher drug
prices.
As with prescribers, the purpose of contact between
pharma companies and patients is to sell drugs. In the
US, pharma companies spend about dollar 5bn (ukp 4bn;
euro 4bn) yearly on direct to consumer advertising on
television. The adverts are mostly for me-too drugs and
are designed to convince viewers that one is better than
another, despite the fact that these drugs are seldom
compared in clinical trials at equivalent doses. Many
seek to convince people that they have chronic disorders
that require lifelong drug treatment. Thus heartburn is
elevated to gastrointestinal reflux disease, with the
implication that it needs to be treated to prevent
serious complications. If people can be convinced they
have a treatable medical condition, then it is an easy
step to sell them drugs to treat it. Many doctors
connive in this deception because it is easier to write
a prescription than to counsel changes in diet or to
offer reassurance. We need to stop accepting the fiction
that marketing, whether to prescribers or patients, is
good education.
Cite this as: BMJ 2009;338:b222
Competing interests: None declared.
Provenance and peer review: Commissioned; not
externally peer reviewed.
References
1. Angell M. The truth about the pharma companies: how
they deceive us and what to do about it. New York:
Random House, 2004.
2. Turner EH, Matthews AM, Linardatos E, Tell RA,
Rosenthal R. Selective publication of antidepressant
trials and its influence on apparent efficacy. N Engl J
Med 2008;358:252-60.[AbstractFree Full Text]
3. Relman AS. Industry support of medical education.
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Entanglement in Scotland
David R Ball, Yehia Kamel, and Vince Perkins
BMJ 2009 338: b763. [Extract] [Full Text]
Doctors, patients, and the pharma industry
Fiona Godlee
BMJ 2009 338: b463. [Extract] [Full Text]
Relationships with the pharma industry: More
regulation, greater transparency
Harlan M Krumholz and Joseph S Ross
BMJ 2009 338: b211. [Extract] [Full Text]
Relationships with the pharma industry: Focus on better
information
Richard Tiner
BMJ 2009 338: b252. [Extract] [Full Text]
Doctors, patients, and the pharmaceutical industry
Joe Collier
BMJ 2009 338: b443. [Extract] [Full Text]
Related external webpages:
Listen to the doctors and pharma industry podcast
special, Tessa Richards and Jane Smith interview key
players in the debate.
This article has been cited by other articles:
Ball, D. R, Kamel, Y., Perkins, V. (2009).
Entanglement in Scotland. BMJ 338: b763-b763 Full text
Rapid Responses:
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relationship with pharmaceutical industry
bill van marle
bmj.com, 9 Feb 2009 [Full text]
No doubts about the primary motivation of the
pharmaceutical industry
Hany G. El-Sayeh
bmj.com, 13 Feb 2009 [Full text]
The "Free Lunch" is alive and kicking
David R Ball, et al.
bmj.com, 13 Feb 2009 [Full text]
Refuse the "free lunch" !
Alexander Spiers
bmj.com, 20 Feb 2009 [Full text]
Relationships with industry: Handshakes at arm's length
Bruce Gingles
bmj.com, 2 Jun 2009 [Full text]
HighWire Press - Feedback - Help -c 2009 BMJ Publishing
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