I. GESPRÄCH
Ich spreche mit einer
Vertrauensperson über meine Probleme.
Bei der Wahl der Person beachte ich meine Gefühle,
weil nicht jeder mit dieser Information
verantwortungsvoll umgehen kann. Gespräche helfen mir,
einen gangbaren Weg aus der Krise zu finden.
II. HILFE
Ich erkenne meine Hilflosigkeit und suche mir
Helfer.
In meinen Krisen fällt es mir oft schwer,
anzuerkennen, daß ich wirklich Hilfe brauche. Das
Anerkennen meiner Hilflosigkeit und das Annehmen
ernstgemeinter Hilfe ist ein wichtiger Schritt zu mehr
Gesundheit und Wohlbefinden. Was hilft, kommt auf
meine Bedürfnisse und meine Verfassung an. Ein
Gespräch, ein Arzneimittel oder ein Kinobesuch,
ein Tag Bettruhe, ein Buch oder ein Waldspaziergang,
im Notfall ein "stationärer Aufenthalt". Ich muss es
ausprobieren, meine Bedürfnisse und Fähigkeiten
einschätzen lernen und das jeweils Richtige
herausfinden.
III. NETZWERK
Ich brauche ein Netzwerk aus Freunden
Ich brauche ein Netz sozialer Beziehungen zu Freunden,
Bekannten, Familie in meiner Nähe. Mehrere können mehr
tragen und aushalten als ein Einzelner. Meine Krisen
muss ich zwar selber durchstehen, aber der Kontakt zu
anderen hilft mir oft. Der Alltag mit anderen
verbindet und gibt Halt. Im Austausch mit
Anderen kann ich mehr über mich und die Welt lernen
und habe die Chance, Erfahrungen mit anderen zu
teilen. Das Aufbauen und Pflegen von Kontakt zu
anderen Menschen ist für mich oft schwierig. Oft
fällt es mir schwer, mit Menschen zusammen zu sein.
Alleinsein ist manchmal besser für mich. Trotzdem
wünsche ich mir Freundschaft und Liebe.
IV. ZEITSTRUKTUR UND ZIELE
Ich brauche für meinen Tages-, Wochenablauf etc.
ein Gerüst.
Es hilft mir dabei, meine Zeit sinnvoll zu gliedern.
Das Gerüst kann aus wiederkehrenden Mahlzeiten,
nützlichen Gewohnheiten, Arbeitsabläufen, regelmäßigen
Spaziergängen, oder Treffen bestehen. Mitten in der
Krise ist es sinnvoller, dieses Gerüst so einfach wie
möglich zu halten. Mit dem Abklingen der Krise kann es
wachsen. Nach und nach kann ich mehr in das Gerüst
einbauen. Wenn ich mir erreichbare Ziele setze, die
ich dann in die Tat umsetze, kann ich wieder mehr
Vertrauen fassen. Ich achte darauf, mich mit den
selbstgesetzten Zielen nicht zu überfordern.
V. GRUNDBEDÜRFNISSE
Ich sorge für mich und beachte meine
Grundbedürfnisse.
Ausreichend Schlaf, gute Ernährung, Entspannung,
Bewegung und Körperpflege stabilisieren. Ich habe mit
der Zeit gelernt, daß diese alltäglichen Dinge viel
ausmachen, man kann sie nicht hoch genug einschätzen.
Wenn ich mich selbst gut behandele und auf meine
Bedürfnisse achte, habe ich eine bessere Grundlage, um
mit Krisen und Problemen fertigzuwerden. Vielleicht
kann ich so auch das Leben mehr geniessen.
VI. MEDIZINISCHE VERSORGUNG
Ich brauche in der Krise angemessene medizinische
Versorgung.
In Krisen brauche ich den Kontakt zu einem Arzt meines
Vertrauens.
Im Zweifelsfall brauche ich Medikamente.
Psychopharmaka sind ein zweischneidiges Schwert, wie
andere Arzneimittel auch. Ich weiss, dass sie in
Notlagen weiterhelfen und die größten Schmerzen
zeitweilig lindern können. Insofern sind sie
notwendig. Die Nachteile sind:
häufig treten schwer erträgliche, unerwünschte
Wirkungen auf, bei vielen besteht ausserdem das Risiko
von unumkehrbaren Schädigungen. (cf. tardive
Dyskinesie)
Verantwortungsvoller und professioneller Umgang mit
ihnen ist deshalb unabdingbar. Die Heilsversprechungen
der Industrie sind, wie jedes andere Anpreisen
einfacher Lösungen und Wundermittel, kritisch zu
betrachten. Die "happy pill" gibt es nicht.
Bestenfalls ermöglicht das Medikament es mir, Abstand
von den akuten Problemen zu bekommen und etwas für
mich zu tun. Es gilt, immer der eigenen Erfahrung zu
trauen (was tut mir gut, was schadet mir ?)- oder, wo
das unmöglich ist, sich die Erfahrung anderer (Ärzte,
Betroffene usw.) nutzbar zu machen. Was dem Einen
nutzt, kann durchaus dem Anderen schaden und
umgekehrt.
VII. PSYCHOTHERAPIE
Ich brauche auch in der Krise
Psychotherapie.
Gemeinsam mit den Therapeuten ist es allmählich
gelungen, einen Raum zu schaffen, in dem ich mich
weiterentwickeln konnte.
Das offene Ohr, die Geduld und Beständigkeit und vor
allem der freisinnige Geist meiner Therapeuten hat das
Entstehen einer vertrauensvollen Beziehung
ermöglicht. Sie ist die Grundlage dafür, auch die
schwersten Probleme nach und nach anzugehen.
Auch in einer akuten Krise hilft mir Psychotherapie,
es ist dann aber günstiger, wenn sie eher stützend als
aufdeckend ist.
Lösungen zu finden erfordert Geduld, Erfahrung
und schöpferisches Denken. Es ist harte Arbeit, sich
selbst ins Auge zu sehen und zu versuchen, sich zu ändern.
VIII. ZUVERSICHT
Ich weiss aus eigener Erfahrung, daß "Heilung"
möglich ist.
Das mag sich für jemanden, der akut von einer schweren
Krise betroffen ist, wie ein Witz anhören oder wie
Zynismus. Oft - und manchmal für lange Zeit - scheint
die Lage ausweglos. Die Zukunft ist wie versperrt. Es
geht aber immer weiter, und ich weiss, daß es sich
wirklich lohnt, weiter zu gehen. Ich möchte anderen
Mut machen: es gibt Wege aus der Misere, das
Durchstehen lohnt sich.
Ich glaube, dass "Heilung"/ Gesundsein kein
Zustand, sondern eine andauernde Bewegung ist.
IX. DIAGNOSE UND INFORMATION
Die Diagnose ist eine Beschreibung meines
Zustandes und keine Verurteilung zum
Kranksein.
Die psychiatrische Diagnose meiner Schwierigkeiten
sehe ich als Handwerkszeug der Ärzte an. Es kommt auf
die Bezeichnung
nicht so sehr an. Das Klassifizieren der Erscheinungen
ist praktisch, ersetzt aber nicht die Mühe des
Verstehens. Die Psychiatrie
hat lange eher eine Tradition des Nicht- Verstehens
gepflegt ( cf. Begriffe wie uneinfühlbar ) Man kann
über die Entstehung seelischen Leidens und (Un-)
Heilbarkeit ausgiebig streiten. Ich finde es
wichtiger, herauszufinden, was ich möchte und was mir
gut tut. Massgeblich für mein Gesundwerden ist nicht
die Diagnose, sondern die Frage, wie ich mit anderen
gemeinsam meine Lebenssituation verändern kann. Es
kommt mir darauf an, soweit wie möglich mein Schicksal
selbst in die Hand zu nehmen, meine Erfahrung ernst zu nehmen und
im Alltag mehr Wohlbefinden zu erreichen.
So viel wie möglich über mich und meine sogenannte
Erkrankung zu wissen, hilft mir dabei, Distanz zu den
Schwierigkeiten zu gewinnen. Dabei sind die
Informationsquellen meist nicht sehr
zuverlässig. Die einen wollen ihre Pillen verkaufen
und tun
für den Umsatz fast alles. Konzerne wie Lilly und
Johnson sind daher eher zweifelhafte Anwälte der
Interessen von Leuten wie mir. Andere, darunter viele
Psychiater, sind in beschränkten Weltbildern
befangen (cf. Endogenitätskonzept etc.) und verstecken
sich hinter einer vermeintlich wissenschaftlichen
Sicht der Dinge, wobei ihnen oft der Blick für die
Menschen hinter den Krankheitsbildern verloren geht.
So oder so gilt es, sich umzuhören und sich
selber ein Bild von "der Krankheit" zu machen.
X. ARBEIT
Mein seelisches Leiden ist Arbeit an mir selbst
und am Verhältnis zu Anderen.
Die Arbeit fängt da an, wo die Schwierigkeiten und
Probleme sich das erste Mal zeigen. Ich glaube, dass
ich durch das Leiden von Anfang an versucht habe, anders
zu werden, damit ich weniger leiden muß. Ich konnte
einfach nicht so bleiben, wie ich war.
Durch eigene Erfahrung und mit viel Unterstüztung
durch meine Freunde und Therapeuten habe ich mich
verändert und kann jetzt besser ich selbst sein. Ich
betrachte die Probleme und das Leid als Teil des zu
gehenden Weges. Es ist wirklich Arbeit, mühsam
und oft scheinbar wenig lohnend. Wie bei anderer
Arbeit muß es auch Pausen und Urlaub geben, damit sie
einen nicht auffrisst.
Das Leiden ist im Zusammenleben mit Anderen, zum Teil
auch durch Andere entstanden. In den Beziehungen habe
ich mit meiner Arbeit angefangen. Sie
erfordert geduldiges Hineinhören in mich selbst und
das Gespräch mit anderen. Die Lösung eines
Problems löst nicht alle meine Probleme, ich gehe
Schritt für Schritt weiter.
Ich wünsche allen, die sich um diese Dinge bemühen,
Mut, Geduld und Kraft.